Die Kriege der Zukunft [SE01 EP16 & 17]
Was bisher geschah: Im Dunhuang-System hat der alte Marineoffizier Zenon Appiah das Kommando über zwei Schlachtschiffe der Res Publica übernommen, um sich der Morgenröte zu stellen. Auf Dunhuang Siebzehn selbst findet Elvis Eric Late ein Gefangenenlager und darin den ohne sein Gehirnimplantat eher hilflosen Park Thaeer. Sie beschließen, gemeinsam die Stadt zu verlassen und sich auf den Weg zu einer verborgenen Festung zu machen.
„Der Mechanismus“
Auch das letzte wenige Licht verschwand, als die Tür zum Treppenhaus hinter ihnen zufiel.
„Das ist jetzt wirklich am schlimmsten“, sagte Park.
Mist, dachte Elvis. Naja, sie finden hoffentlich auch so zurück in den Wald, die Streifenhörnchen.
„Ich sehe gar nichts“, sagte Park.
„Warte“, sagte Elvis. „Okay, wusstest du, dass das menschliche Gehirn so trainiert werden kann, dass Leute sich mit ihrem Gehör orientieren? So ähnlich wie Fledermäuse, über das Echo. Das geht wirklich.“
„Ja“, sagte Park, „aber ich glaube nicht, dass ich das gerade kann.“
„Ganz sicher nicht“, sagte Elvis, „aber du kannst es ja ausprobieren. Dann können wir gleichzeitig ganz normal reden.“
„Prima“, sagte Park ohne Begeisterung.
„Prima“, sagte auch Elvis. „In welche Richtung gehen wir?“ Sein Implantat zeichnete die Umrisse ihrer Umgebung ins Dunkel; zuerst hatte Elvis gedacht, dass die Nachtsicht gerade nicht recht funktionierte, aber offenbar standen sie einfach in einem sehr langen Tunnel, in dem auch bei Licht nicht viel mehr zu sehen gewesen wäre außer ein paar Linien und Flächen, die in der Ferne verschwanden.
„Da entlang“, sagte Park und wankte los. „Das sind Versorgungstunnel unter der Stadt, so kommen wir hier raus. Einfach geradeaus, das ist gut.“
„Das ist sicher eine dumme Frage“, sagte Elvis, „aber warum habt ihr diese Tunnel nicht während der Invasion benutzt?“
„Das ist gar keine dumme Frage“, sagte Park. „Darüber hätten wir sicher nachgedacht, wenn es darum gegangen wäre, uns die Stadt zurückzuholen, aber darum ging es wohl nicht. Es ging darum — und da versuche ich nur, die Stimmung zu lesen — eine Schlacht zu gewinnen. Reinald wusste das. Also sind sie in eine Schlacht gezogen, anstatt einen Plan zu machen.“
„Das ist nicht so gut ausgegangen“, sagte Elvis und musste an das allzu kurze Duell zurückdenken.
„Wirklich nicht“, sagte Park, „aber es schien ihnen wichtig gewesen zu sein, warum sollte ich da etwas sagen.“
„Ich weiß gerade nicht, was mir wichtig ist“, sagte Elvis, „aber wir könnten das mit dem Planen ja nochmal versuchen.“
Park lachte.
„Können wir hier wieder an die Oberfläche? Durch ein anderes Gebäude?“, fragte Elvis, als sein Implantat eine kleine Bucht mit Türen zu ihrer Rechten markierte.
„Das könnten wir“, sagte Park, „aber ich weiß nicht, was die Morgenröte alles sieht. Vielleicht ist in der Stadt irgendetwas, das mich erkennen kann. Oder jemand. Ich kann noch nicht einschätzen, was diese Leute können, was sie selbst wissen. Lass uns bis zum Ende des Tunnels laufen.“
„Okay“, sagte Elvis. „Aber ich habe noch Sachen bei einem Freund gelassen.“
„Hol sie doch nachher. Lass uns erst mal aus der Stadt herauskommen.“
„Na gut“, sagte Elvis, der schließlich der Letzte war, der einen Umweg für ein Problem halten würde.
„Was hast du gemacht, nachdem unser Konvoi angegriffen wurde?“, fragte Park.
„Ich bin auf den Berg gegangen“, sagte Elvis. „Aber das ist nicht die Zeit, um auf einem Berg zu sitzen, glaube ich.“
„Genauer“, sagte Park, „bitte.“
Elvis war sich nicht sicher, ob Park mehr zu seinem Weg auf den Berg oder zu den Fragen der heutigen Zeit wissen wollte, also fing er lieber mit dem Weg an. Da Park zu jedem Detail mindestens zwei neue Fragen hatte, war es zumindest nicht ganz falsch gewesen.
„Hast du herausgefunden, warum dein Implantat noch funktioniert?“, fragte Park irgendwann. Er hatte zwischendurch angefangen, seine Stimme auf unterschiedliche Weise zu modulieren, wohl um die Echoortung zu vervollkommnen.
Wahrscheinlich findet er sich hier schon besser zurecht als ich, dachte Elvis, und tatsächlich hatte sein Weggefährte einiges an Tempo zugelegt. „Mein Implantat“, sagte er, „gute Frage.“
„Vielleicht finden wir es wir noch heraus.“
„Meinst du, das noch andere auf eurem Stützpunkt sind?“
„Wenn sie nicht auch gefangengenommen wurden“, sagte Park.
Sie mussten am Rand der Stadt angekommen sein. Elvis’ Implantat griff das schwache Licht am Ende des Tunnels auf und versuchte, die grobe Rekonstruktion der Umgebung mit weiteren visuellen Informationen aufzuwerten; hier ein Grasbüschel am Bordstein, da bereits eine Annäherung an die Farbe, die der Beton hier haben mochte. Als die breite Straße sie aus dem Tunnel schließlich zwischen die endlosen Felder Dunhuang Siebzehns führte, lag die Stadt schon einige hundert Meter hinter ihnen. So verstörend die Situation in der Stadt war, so stereotyp war jetzt dieser Nachmittag in den Feldern, mit dem sanft in der Brise wiegenden Getreide unter einem freundlichem blauen Himmel und den grünen Klecksen der Obstbäume zwischendrin.
„Ich sollte jetzt meine Sachen holen“, sagte Elvis.
„Mach das“, sagte Park. „Ich gehe zu diesen Bäumen dort hinten.“
„Ich versuche mich zu beeilen. Du kannst ja diese Ähren hier zählen.“
„Schon gut.“
„Notfalls mit geschlossenen Augen?“, schlug Elvis vor, aber Park lief bereits in Richtung der Bäume in das Feld hinein.
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„Und, wie war es?“, fragte Bayan. Es sah nicht so aus, als hätte er sich in den vergangenen Stunden von seinem Stuhl in der dunklen Ecke bewegt. Auf dem Platz vor der Werkstatt war jetzt niemand mehr.
„Schwer zu sagen.“ Elvis griff nach seinen Sachen, nahm sich dann aber doch einen Stuhl. Ein paar Minuten saßen sie da, bis das Schweigen zu bedrückend wurde. „Hast du etwas darüber gehört, dass irgendwelche Dinge nicht von diesem Virus angegriffen wurden?“, fragte Elvis mit einem Blick zu dem Haufen aus unbrauchbarer Technik. „Ich meine nicht außerhalb der Stadt, sondern hier, als alles andere ausfiel.“
„Virus“, sagte Bayan, „du meinst diesen Puls? Nein. Nichts.“
„Hm“, sagte Elvis. „Mein Implantat, also, es ist jedenfalls noch ganz.“ Er war leiser geworden; Park Thaeer hatte recht damit, dass sie nicht wussten, was die Morgenröte sah, oder hörte.
„Vielleicht hattest du Glück. Warst in einer Ecke, wo der Puls nicht hinkam.“
„Nein“, sagte Elvis. „Ich war mittendrin. Zweimal, mindestens, das Licht ist durch mich hindurchgegangen, oder um mich herum, wie auch immer.“
Bayan runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, wie das sein könnte. Aber ich weiß auch nicht, wie dieser Puls funktioniert. Und wie dein Kopf funktioniert? Naja.“
Sie schauten wieder auf den leeren Platz. „Ist hier etwas passiert?“, fragte Elvis. Es war auf andere Weise leer als zuvor; als wären die Menschen irgendwo hingegangen, und hätten sich nicht einfach nur zurückgezogen. Es wirkte insgesamt tatsächlich weniger leer als zuvor, und Elvis meinte, in der Ferne Stimmen vieler Menschen zu hören wie in Zeiten vor der Invasion.
„Da war dieser Absturz“, sagte Bayan und runzelte wieder die Stirn. „Hast du etwas damit zu tun?“
„Ich denke nicht“, sagte Elvis. „Ein Absturz?“
„Eines der Flugzeuge“, sagte Bayan und malte mit dem Finger eine Raute in die Luft. „Einen Block weiter. Sie sind alle hin, um es sich anzuschauen.“
„Hast du es dir angeschaut?“
„Ich war die ganze Zeit hier“, sagte Bayan und schien noch weiter im Dunkel seiner Ecke zu versinken.
„Gehen wir es uns anschauen? Natürlich gehen wir es uns anschauen“, sagte Elvis.
Die Maschine hatte sich in den dürr gewordenen Rasen gebohrt, nur wenige Meter von der Fassade des nächsten Blocks entfernt; vielleicht war es Glück gewesen oder doch eine halbwegs erfolgreiche Bruchlandung. Die Menschen aus der Nachbarschaft hatten sich bereits auf den ganzen Park verteilt. Der Absturz hatte sie aus ihren Wohnungen gelockt, aber dann waren viele geblieben, um mit jemandem und dann noch wem zu plaudern, als hätte das Unglück kurz wieder etwas Normalität hergestellt. Irgendwer hatte einen Grill aufgebaut, der mittlerweile von allen genutzt wurde.
Auch die Leute von der Morgenröte schien die Situation nicht weiter zu bekümmern. Abgesehen von dem gelangweilten Scharfschützen, den Elvis auf einem der Dächer entdeckte, stand nur ein weiterer Soldat unweit der Maschine und sah den Leuten beim Grillen zu. „Gibt vielleicht nicht so viele Vögel, auf eurem Planeten“, sagte Elvis zu dem Soldaten, nachdem er eine Weile den blutigen Matsch auf der Windschutzscheibe des Wracks begutachtet hatte. „Passiert sowieso öfters, als man meint.“
„Da kann ich nichts zu sagen“, sagte der Soldat.
„Bist du auch auf dem Schiff geboren?“
„Richtig.“
„Da gibt es sicher auch nicht so viele Vögel“, sagte Elvis.
„Nur ein paar“, sagte der Soldat, nachdem er eine Weile überlegt hatte.
„Kann ich mal aus der Nähe schauen?“, fragte Elvis und deutete auf das Wrack.
„Nur zu.“
Auch in ihrer gerade etwas lächerlichen Lage wirkte die Flugmaschine bedrohlich, wie eine große Klinge, die eine Gottheit im Zorn in den Boden gehackt hatte. Wenn sich beim Entwurf überhaupt jemand Gedanken um die Aerodynamik dieser Maschine gemacht hatte, war der Anspruch eher, die Luft zu spalten als sie um das Flugzeug fließen zu lassen. Dennoch war sie in ihrer Einfachheit nicht unelegant, und aus der Nähe konnte Elvis erkennen, dass die abstrakten weißen Markierungen auf dem beigen Lack per Hand angebracht worden waren — wahrscheinlich der Versuch, dieser Maschine doch noch etwas Individualität abzugewinnen.
Auf der Unterseite eines der Flügel war ein Paneel abgefallen. Elvis kroch auf allen Vieren unter die Maschine und winkte dann Bayan heran, der noch einige Meter von dem Wrack nervös schwankend dastand, wohl zwischen Neugier und dem dringenden Wunsch verfangen, sich wieder in seine dunkle Ecke zurückzuziehen.
„Was ist das“, sagte Elvis, als Bayan sich mühsam neben ihn kniete. Durch die Öffnung war plötzlich das komplexe Innenleben der Maschine freigelegt worden; auf den ersten Blick meinte Elvis eine Kolonie glänzender Käfer zu sehen, doch bei genauerem Hinschauen waren da unzählige Zahnräder in unterschiedlichsten Größen und andere zuckende und schwingende Teilchen, die wohl auch der Absturz nicht zur Ruhe hatte bringen können.
„Ein Uhrwerk“, sagte Bayan und kroch schließlich weiter unter den Flügel. „Es ist alles mechanisch. Sie müssen alles neu gedacht haben, damit es gegen ihre eigene Pulswaffe immun bleibt.“
„Ist das möglich“, sagte Elvis.
„Vor ein paar Minuten hätte ich noch gesagt, nein“, sagte Bayan. „Sieht das in deinem Implantat vielleicht auch so aus? Lauter kleine Räder?“
„Ganz sicher nicht“, sagte Elvis, „das Ticken würde mich doch wahnsinnig machen.“
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Es hatte nicht lange gedauert, bis Zenon Appiah mit allen Menschen gesprochen hatte, die ihm in den Korridoren oder auf der Brücke der Sagarmatha begegneten. Er war zu dem Schiff geflogen, dass ihnen die Galaktische Patrouille zur Seite gestellt hatte, und hatte mit der Kapitänin geredet, bis sie schließlich lieber einige Partien Schach spielten. Appiah mochte die Kapitänin. Im Verhältnis zu ihrer Besatzung war Sadie Yilmaz von der Patrouille nicht mehr ganz jung; vielleicht im Alter seiner eigenen Kinder, eine athletische Frau mit kurzgeschorenen Haaren und einer winzigen abstrakten Tätowierung hinter dem Ohr, die sich nur undeutlich blauschwarz gegen ihre braune Haut abhob. Vielleicht hatte sie eigene Kinder im Alter seiner Enkelkinder, dachte er, während Yilmaz einen nicht wirklich überlegt wirkenden Zug mit einem Läufer machte. Es war Monate her, dass Appiah seine eigene Familie in Person gesehen hatte, und er ahnte dunkel, dass was auch immer gerade im Weltall und in diesem Sternensystem geschah solchen Angelegenheiten vielleicht bis auf Weiteres im Weg stehen konnte. Jetzt musste Appiah dennoch lächeln: Der Zug der Kapitänin war natürlich ganz gut gewesen.
In der ganzen Zeit, in der er mit Leuten geredet und Schach gespielt hatte, hatten ihre Schiffe alle Sensoren auf den noch fernen Planeten gerichtet. Als Dunhuang Siebzehn sich schließlich ein Mal um die eigene Achse gedreht hatte, beschlossen sie, dass hier nichts weiter herauszufinden war, als dass die winzige blaue Kugel noch existierte. Die Signale, die sie einfangen konnten, waren verschlüsselt oder monotone Notrufe, hinter denen genauso gut Menschen wie irgendein Automat auf einer verlassenen Station stecken konnten. Die drei Schiffe der kleinen Flotte antworteten nicht auf diese Signale; vielleicht wusste die Morgenröte noch nichts von ihnen, und das sollte so lange wie möglich so bleiben. Appiah verlor die Partie und verabschiedete sich. Für seine Schiffe wurde es Zeit, die Portalstation bei Dunhuang Elf zu verlassen und sich einige Planeten weiter an ihr Ziel anzunähern.
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„Der Wind macht interessante Muster in das Getreide“, sagte Park, als Elvis aus dem Feld trat.
„Schön, nicht wahr“, sagte Elvis automatisch und blickte zurück zu den goldenen Ähren, durch die er gerade heraufgestapft war. Er lehnte sich an den Baum, unter dem Park saß.
„Hast du keinen richtigen Rucksack?“, fragte Park. „Wir werden ein paar Tage laufen müssen.“
„Du kannst ja die kleinere Tasche tragen“, sagte Elvis.
Park stand auf und streckte sich.
„Weißt du, wie die ganzen Maschinen von der Morgenröte funktionieren?“, fragte Elvis und blieb am Baum lehnen. „Also warum sie funktionieren, obwohl alles andere ausfällt?“
„Da gibt es ein paar Theorien“, sagte Park.
„Zahnräder. Ich habe in eines dieser Flugzeuge hineinschauen können. Es ist voller kleiner Zahnräder und anderer … Dinge. Alles mechanisch.“
„Das war die unwahrscheinlichste der Theorien“, sagte Park und hob amüsiert die Augenbrauen. „Lass uns gehen.“ Elvis hielt ihm die Tasche entgegen. „Es ist beeindruckend“, sagte Park, nachdem sie eine Weile gelaufen waren. „Sie sind an die Anfänge der Technologie zurückgegangen, um mit den einfachsten Mitteln wieder auf den heutigen Stand aufzuholen. Und nur, um sich einen Vorteil zu verschaffen, für diesen Krieg.“
„Ist es das“, sagte Elvis, „beeindruckend?“, und dachte kurz an Bayan, der mit neuer Energie von unter dem Wrack hervorgekrochen war und sich in seiner Werkstatt nicht wieder in die dunkle Ecke gesetzt hatte, sondern vor den zusammengekehrten Schrotthaufen, wo er vielleicht bis jetzt nach noch Brauchbarem suchte. Dann dachte er an das Fußballspiel und an die von ihrem alten Planeten so enttäuschten Soldaten, und schließlich überkam Elvis eine schlimme Ahnung. Was, wenn es ihnen gerade darum geht, dachte er: dass sie mit alledem jemanden beeindrucken wollen, im Zweifelsfall sich selbst. Um einen Vorteil geht es gar nicht mehr; und jetzt sind sie dabei, alle in dieses dumme Spiel hineinzuziehen. Aber mich kriegt ihr nicht, dachte er.
„Beeindruckend, ach, zumindest etwas, das ich in dieser Galaxis nicht erwartet hatte“, sagte Park mit einem Schulterzucken. „Verzeih“, sagte er dann ein paar Meter weiter, „Dieser Planet wird schnell eintönig. Das beschäftigt mich mehr, als es sollte. Ich denke in eine falsche Richtung.“
„Was meinst du?“
„Die Langeweile macht mich wahnsinnig“, sagte Park. „Normalerweise würde ich sie nicht bemerken. Ich erinnere mich nicht, dass mir jemals langweilig war. Es gäbe so viel zu tun, wenn nur …“ Er schlug sich mit der flachen Hand an den Hinterkopf, als könnte dies sein Implantat wieder in Gang bringen.
„Lass das“, sagte Elvis.
„Okay“, sagte Park. „Das ist für mich jetzt eine praktische Frage. Das nächste Feld wird geschätzt die gleiche Menge an Körnern pro Quadratmeter haben wie die letzten beiden. Vielleicht ist das Feld kleiner und hat eine andere Form, aber schließlich ist es nur eine gelbe Fläche und eine weitere gelbe Fläche und dazwischen ein paar Apfelbäume. Willst du die durchschnittliche Menge von Äpfeln an einem Baum wissen, je nach Größe? Irgendwann kann man sich das ausrechnen, und es stimmt ja, dieser Planet wurde schließlich programmiert.“ Er kletterte wütend den Pfad zu einer kleinen Anhöhe hinauf. „Vielleicht wäre es interessant, davon Bilder zu machen. Dann wären die gelben Flächen wirklich gelbe Flächen. Aber dafür haben wir keine Zeit, und ich werde währenddessen wahnsinnig.“
„Bilder“, sagte Elvis. „Versuch es doch zu beschreiben.“
„Eine gelbe Fläche und eine weitere gelbe Fläche“, sagte Park. „Willst du noch die Seitenverhältnisse?“
„Gut beschreiben“, sagte Elvis, der langsam etwas ungeduldig wurde. „Ein Haiku. Mach ein Haiku draus, vielleicht hilft das.“
„Ein was?“
„Ein Gedicht. Fünf Silben, dann sieben Silben, wieder fünf Silben. Manchmal wird es einfacher, wenn man sich’s komplizierter macht.“
„Ach ja“, sagte Park. „Oben am Hügel. Was kann uns hier erwarten? Ein weiteres Feld.“
„Naja. Du musst das schon ernster nehmen.“
„Was ernster nehmen.“
„Die Felder. Die Worte.“
Park stöhnte. „Goldene Halme. Wann kommt der Wind wieder auf? Mir fehlt ein Muster.“
„Besser“, sagte Elvis, „und gleich das nächste.“
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Als Carina schließlich auf der Brücke ankam und den ganzen Weg vom Korridor zur Plattform des Kapitäns in der Schwerelosigkeit zurücklegte, überkam sie schnell ein Gefühl der Freiheit, das sie während ihrer Zeit auf dem Planeten ganz vergessen hatte. Wenig später überkam sie ein Gefühl der Beklemmung, denn so riesig dieses Schiff sein mochte, es hörte hier an den großen Fenstern auf, und die Weite dahinter war zwar unermesslich, vor allem aber tödlich.
Ihr Besuch auf der Morgenröte war nicht allzu formal: ein Tag zurück auf dem Schiff, der ihr als Offizierin zustand, um Rücksprache und auf die eine oder andere Weise Einkehr zu halten. Hier auf der Brücke traf sie ihren Vater und Basil Matei, denen sie kurz zur Lage wiedergab, was sie ohnehin schon aus anderen Berichten wussten; dann antwortete sie eine Weile auf ihre freundlichen Nachfragen zu allerlei Kleinigkeiten, die aus dem Orbit vielleicht interessanter erschienen als auf dem Boden, oder von denen die beiden vielleicht dachten, dass Carina darüber sprechen möchte.
„Das wird ein guter Planet werden“, sagte sie schließlich.
„Das ist, was wir hören wollen“, sagte Matei gutgelaunt.
Eran Debro tätschelte die Lehne seines Sessels. „Es war eine lange Reise“, sagte er. „Nein“, korrigierte er sich, „zwei lange Reisen.“ Die Morgenröte hatte ihre Leute erst vor Jahrhunderten aus dem alten Teil der Galaxis weggebracht, jetzt führte sie sie hierher. Dank der Portaltechnologie, über die die anderen Menschen jetzt offenbar verfügten, brauchte niemand mehr eine ganze Kolonie zu verschiffen. Sie starrten in das All hinter den Fenstern der Brücke. Mit dieser dann doch immer ähnlichen Aussicht waren sie jahrelang vorangeflogen, ohne ein Ziel wirklich vor Augen haben zu können, bis es — wie dieser Planet — plötzlich in Reichweite war.
„Wie dem auch sei“, sagte Matei nach einer Weile, „wir werden hier oben wahrscheinlich noch gebraucht. Solange wir uns auf dem Planeten nicht verteidigen können, bleibt die Morgenröte hier.“ Carina hörte leises Bedauern aus seiner Stimme heraus. Plötzlich wirken sie müde, dachte sie, als sie die beiden älteren Männer ansah. Nicht mehr lange, dann kann ich euch unseren neuen Planeten zeigen. Vom Geländer der Plattform aus erkannte sie unten Abelia. Abelia schaute zurück; sie wirkte kühl. Carina hatte ihrer Kameradin eine gewisse Enttäuschung angemerkt, nachdem letztere aus dem Kälteschlaf erwacht war und wohl festgestellt hatte, dass das Leben auf der Morgenröte ohne sie weitergegangen war; insbesondere das Leben von Carina selbst, die mittlerweile nicht nur viele ganz alltägliche Aufgaben auf dem Schiff hatte, sondern auch zahlreiche Beziehungen und darunter nicht zuletzt — und schon seit einiger Zeit — einen Partner. Carina registrierte diese Enttäuschung, konnte damit aber nichts weiter anfangen. Wenn es wenigstens etwas Sexuelles wäre, dachte sie, dann wäre es Etwas. So ist das aber Nichts. Trotzdem deutete Carina einen Salut an und erwiderte Abelias Blick mit einem Lächeln.
„Sie könnte ja auf den Planeten“, sagte Eran Debro. „Nimm sie doch mit, deine Freundin, wenn sie möchte.“
„Willst du mit auf den Planeten“, rief Carina hinunter. Es war keine schlechte Idee. Sie hatte ein gutes Verhältnis zu den Leuten in ihrem Platoon, aber Abelia hatte ihren eigenen Kopf und andere Perspektiven, die unten in der Stadt interessant und nützlich sein konnten.
„Hier werde ich mehr gebraucht“, rief Abelia zurück.
Jetzt hat sie auch noch Angst, dachte Carina.
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Mit der Zeit ging Park das Vokabular aus, selbst wenn die Abenddämmerung noch ein paar neue Impulse lieferte. „Es wird dunkel“, sagte Elvis, nachdem sein Weggefährte eine ganze Weile geschwiegen hatte. „Vielleicht ist es unter diesen Bäumen halbwegs bequem, da hinten.“
„Wir sollten noch eine Weile gehen“, sagte Park, „ein, zwei Stunden, es ist noch weit.“
„Dann bei den nächsten Bäumen“, sagte Elvis, der den Gurt der Tasche auf seiner Schulter schon sehr gut spüren konnte.
„Oh“, sagte Park ein paar Minuten später.
„Hmm?“
„Die Sterne, die Konstellationen am Himmel. Ich kenne sie alle ganz genau, aber ich weiß keinen der Namen mehr. Das war alles nur in meinem Implantat eingespeichert.“
„Was meinst du, dass du sie kennst?“
„Na, wo sie sind. Ich bin hier geboren, ich habe eine ganze Kindheit lang diesen Himmel angeschaut. Eine ganze Jugend.“
„Du bist hier geboren?“
Park lachte freudlos. „Nicht wahr? Alle denken immer, dass niemand auf Dunhuang Siebzehn geboren ist. Aber das stimmt nicht, für die meisten hier nicht.“
„Hm“, sagte Elvis. „Ich mag es hier ja.“
Park sagte nichts.
„Da oben ist die Erde“, sagte Elvis und deutete zu einem der Sterne. „Also die Sonne, natürlich. Da, wo der gelbliche Stern ist, wenn du ein Dreieck mit den zwei Sternen links bildest, und dann darüber.“
„Ah“, sagte Park. „Jetzt, wo du es sagst. Ich erinnere mich, dass die Konstellation wichtig war, alles andere war auf dem Implantat.“
„Jetzt weißt du es ja wieder.“
„Wenn diese Leute hier alles zerstören“, sagte Park, plötzlich zornig, „wenn sich nichts mehr reparieren lässt und niemand kommt, um es wieder in Ordnung zu bringen, dann bleiben das von hier aus leuchtende Punkte am Himmel. Nichts weiter.“
Wie früher auf meinem Planeten, dachte Elvis. Wie fast mein ganzes Leben, eigentlich, aber gut.
„Wie auch immer“, sagte Park. „Wenn du die Namen der Sterne noch abrufen kannst, wie heißt der links über der Sonne? Vielleicht kann ich mir sie ja alle auch so merken.“
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Dunhuang Sechzehn war eine eher dubiose Angelegenheit, ein mittelgroßer Gasplanet, über dessen Oberfläche aus schmutzig purpurnen Wolken hin und wieder irgendwelche grünlichen Entladungen aufblitzten. Der Wissenschaftsoffizier der Sagarmatha hatte gelangweilt die chemische Zusammensetzung der immensen Kugel von seinen Instrumenten abgelesen. Zenon Appiah bedeutete das alles wenig, aber letzten Endes waren Planeten wie dieser und ihre Rohstoffe ein Grund gewesen, weshalb das System überhaupt besiedelt worden war. Automatisierte Plattformen schwebten in den Wolken, um irgendwelche Gase abzupumpen; jetzt warteten sie vergeblich auf die Anweisungen, ihre Güter einer Frachtstation im Orbit Dunhuang Siebzehns entgegenzuschicken.
Um bessere Sicht auf ihr Ziel zu erhalten, hatten sich die Sagarmatha und die Elbrus so weit wie möglich hinter diesem Planeten versteckt, dessen Umlaufbahn derjenigen von Dunhuang Siebzehn noch am nächsten war — insofern versteckt das richtige Wort sein konnte, wenn schließlich Millionen von Kilometern die beiden Planeten voneinander trennten, und die zwei riesigen Schlachtschiffe auch aus weitaus kürzerer Distanz nur winzige Punkte vor den purpurnen Wirbeln abgaben. Nach einigen Stunden hatte das Teleskop der Elbrus endlich brauchbare Aufnahmen von Dunhuang Siebzehn geliefert. Aus ihrer Position sahen sie nur einen Teil der Tagseite, die Landmassen und Gewässer aus dieser Entfernung auf den Bildern weiterhin verschwommen. Die Nachtseite blieb dunkel.
„Hier stimmt etwas nicht“, sagte der Wissenschaftsoffizier. „Die Atmosphäre scheint intakt zu sein, aber wir haben eine Art Störung im Orbit. Störungen. Wie ein Rauschen.“
„Was heißt das?“, sagte die Kapitänin, während der Offizier ein Hologramm des Planeten aufrief; aber auch auf dieser Simulation war eben nicht viel mehr als ein Rauschen zu sehen, das sich als Hülle um den Planeten spannte.
„Irgendwelche Materie“, sagt der Offizier. „Nicht viel, aber sehr weit gestreut.“
„Trümmer“, sagte Appiah. „Der Planet hatte ein Abwehrsystem aus Satelliten, nicht wahr. Sie haben es zerstört. Das sind Trümmer.“
„Oh nein“, sagte die Kapitänin.
„Das Kessler-Syndrom“, sagte der Offizier. „Schrott im Orbit macht aus allem anderen im Orbit nur noch mehr Schrott. Eine Kettenreaktion. Da wird jetzt nicht viel mehr übriggeblieben sein außer Trümmern.“
„Gut zu wissen“, sagte Appiah. Zu den ominösen Gefahren, die die Morgenröte mitbrachte, kam nun dazu, dass sich jedes Schiff im Anflug auf Dunhuang Siebzehn durch eine Schicht aus Weltraummüll pflügen musste.
„Da ist noch etwas“, sagte der Offizier mit einem Blick auf seine Anzeigen.
„Ja?“
„Hier. Nicht auf Siebzehn. Ein ganz schwaches Signal, verschlüsselt.“ Er markierte den Ursprung auf der großen Ansicht der Oberfläche Dunhuang Sechzehns. „Eine der Plattformen. Sie scheint bewohnt zu sein.“
„Das ist jetzt eine Überraschung“, sagte Appiah und sah auch den anderen eine gewisse Erleichterung an. Eine Überraschung auf diesem Planeten war immer noch ein Aufschub der Überraschungen, die sie auf Dunhuang Siebzehn erwarten konnten.
Nur wenig später beobachteten sie von der Brücke aus eine kleine Fähre, die sich zu der Plattform herabsenkte und fünf Leute in Raumanzügen entließ, die den Winden in der turbulenten Atmosphäre zum Trotz zu einem niedrigen Pavillon vorrückten. Auf halbem Wege kam ihnen aus einer Luke jemand entgegen, eine Figur in einem klobigen zivilen Anzug, Sauerstoffschläuche hinter sich herziehend. Sie unterhielten sich nur kurz, und Appiah meinte, auf der Projektion zu sehen, wie die kleinen Figuren sich nach oben wandten und jemand von dem Landungsteam zu ihnen herauf deutete. Eine Viertelstunde später war das Landungsteam wieder an Deck.
„Ich werde selber mit ihnen reden“, sagte Appiah.
Die Fähre setzte mit einem schweren metallischen Geräusch auf der Plattform auf. Auch Appiah fühlte sich plötzlich schwer; die Gravitation musste ein wenig stärker sein als auf der Erde oder den anderen bewohnten Planeten, die er kannte. Draußen sammelte sich sofort trübe Feuchtigkeit auf dem Visier seines Helms. Appiah wischte sie mit dem Ärmel weg. Der Boden der Plattform war bereits mit einer nassen kristallinen Schicht bedeckt, in der seine Stiefel Abdrücke hinterließen wie in grünlichem oder doch vielleicht violettem Schnee.
Auf der Plattform war nicht viel mehr als der Pavillon, den sie aus dem Orbit gesehen hatten. Große Antigravitations-Aggregate, mit Hydraulik und massiven Ketten an den Rändern befestigt, hielten das gesamte Konstrukt in den Wolken; hier und da waren irgendwelche Kisten und Container abgestellt, mit Planen geschützt und ihrerseits mit Ketten am Boden festgezurrt. In den Falten der Planen sammelte sich der Schnee — oder als was auch immer die Kristalle bezeichnet werden konnten –, nur um bald darauf wieder vom Wind aufgewirbelt zu werden. Neben Appiah war auch Yato stehengeblieben, um ein paar der Kristalle auf der Handfläche landen zu lassen; eine hagere, alterslose Person, die auf der Sagarmatha für allerlei Sicherheitsangelegenheiten zuständig war und alle immer aus den Augenwinkeln anlächelte. Sie waren zu zweit mit der Fähre gekommen, aber Appiah vertraute darauf, dass Yato ihnen wieder heraushelfen würde, falls sie hier doch noch mehr Überraschungen erwarteten.
Durch die schmalen horizontalen Fenster des Pavillons schien warmes Licht, und Appiah fühlte sich tatsächlich willkommen, als auch jetzt wieder die Gestalt in dem unförmigen Anzug aus dem Gebäude trat und winkte. Das sei eine Forschungsstation, hatte das Landungsteam vorhin berichtet, und in der Datenbank der Sagarmatha hatten sie auch einen entsprechenden Eintrag gefunden. Individuelle Wohneinheit bis zu zehn Personen: Qualifiziert noch nicht, um diesen Planeten als besiedelt zu kategorisieren. Appiah winkte zurück.
Das Gesicht des Mannes hinter dem Visier wirkte freundlich. Er klopfte Appiah mit einem dicken Handschuh auf den Arm und deutete in Richtung des Pavillons.
„Hier hört man so schlecht“, rief er. „Der Wind.“
„Ja“, rief Appiah.
Hinter der Tür, die der Mann mühselig mit seinen großen Handschuhen öffnen musste, lag eine kleine Luftschleuse; Appiah hatte wieder vergessen, woraus sich die Atmosphäre draußen zusammensetze, aber Atmen ließ es sich nicht. Sie warteten geduldig, während Schleier aus irgendwelcher Strahlung und Desinfektionsmitteln sie umspülten und die Kontamination von den Anzügen entfernten, bis die letzte grünliche (oder vielleicht doch violette) Schliere durch einen Abfluss im Boden abgesaugt worden war. Das Pfeifen des Windes war verstummt, als ihr Gastgeber die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, doch als Appiah seinen Helm abnahm, glaubte er es wieder leise im Hintergrund zu hören. „Wenn ihr die Stiefel ausziehen könntet“, sagte der Mann, „das wäre nett.“
Durch die Tür am anderen Ende der Luftschleuse traten sie, jetzt in Socken, direkt in eine Wohnung. Der größte Teil des Pavillons schien ein einziger Raum zu sein, in dem die unterschiedlichen Lebensbereiche ineinander übergingen; auf einem dicken Teppich spielte ein kleines Kind mit Klötzchen, ein älteres saß auf einer Couch und schaute ein Video; weiter hinten im Raum studierte eine Frau das Hologramm irgendeines Moleküls über einem mit allerlei Apparaten übersäten Tisch. Eine Ecke diente als Küche, und daneben lag hinter einer langen Glaswand ein Gewächshausanbau.
Die Frau schaute von ihrer Arbeit auf. „Hallo“, rief sie herüber. „Sind wir im Krieg?“
„Hier nicht“, sagte Appiah, während Yato peinlich berührt den Arm vor das Pistolenhalfter des Anzugs schob.
Die Frau zuckte mit den Achseln. „Setzt euch doch“, sagte sie. „Ich bin gleich da.“
Appiah und Yato folgten dem Mann zum Tisch in der Küchenecke. „Möchtet ihr etwas? Einen Tee? Wasser? Vielleicht haben wir noch Kekse.“
„Ein Tee wäre doch schön“, sagte Appiah, der bereits die Dose entdeckt hatte und ebenso gerne Tee zubereitete, wie er sich ungern von anderen welchen servieren ließ. „Ich setze einen auf, und du schaust nach den Keksen?“
„Der Wasserkocher ist da“, sagte der Mann und machte sich an den Schränken auf die Suche nach Gebäck.
„Wie lange seid ihr schon hier?“, fragte Appiah, während er über die richtige Aufgusstemperatur für diesen Tee nachdachte.
„Zehn Jahre“, sagte der Mann.
„Eine lange Zeit“, sagte Appiah.
„Es gibt viel zu tun“, sagte der Mann und stellte eine Keksdose auf den Tisch. Weder er noch seine Familie wirkten wie Menschen, die mit ihrer Isolation zu kämpfen hatten, und selbst die wilden Haare und der Vollbart des Mannes schienen eher persönlicher Stil als Verwahrlosung.
„Wir haben nichts mehr gehört, seitdem es auf Siebzehn dunkel geworden ist“, sagte die Frau, die sich mittlerweile an den Tisch gesetzt hatte.
„Unser Schiff hat ein kleines Portal“, sagte Appiah. „Wir können euch von hier evakuieren.“
„Wozu“, sagte der Mann und schaute zu den Kindern hinüber.
„Wir bleiben hier“, sagte die Frau. „Dieser Planet ist so unwahrscheinlich groß, ich kann mir nicht vorstellen, was wäre, wenn hier niemand leben würde, nicht ein einziger Mensch.“
„Oh“, sagte Appiah. „Darüber muss ich erst nachdenken.“
„Darüber denken wir seit zehn Jahren nach“, sagte der Mann.
„Aber ich will auch Kekse“, sagte das ältere Kind, das schließlich die Couch verlassen hatte. Die Frau schob ihm die Dose hin, und der Junge nahm vorsichtshalber gleich mehre Kekse heraus und stapelte sie an den Tischrand.
„Was wird auf Siebzehn passieren?“, fragte die Frau, während Appiah Tee eingoss.
„Was ist bislang passiert?“, fragte Appiah. „Ich weiß es nicht. Wir werden sehen.“
„Ich habe gehört, dass dieses Schiff eines der alten Kolonieschiffe ist“, sagte der Mann. „Hunderte von Jahren her, dass sie losgeflogen sind.“
„Das habe ich auch gehört.“
„Warum sie wohl zurück sind? Vielleicht haben sie nicht das gefunden, was sie gesucht haben.“
„Oder sie haben sich umentschieden, wonach sie suchen“, sagte die Frau.
Appiah nahm einen Schluck von seinem Tee. Ein wenig länger hätte er noch ziehen können. „Kann ich euren Garten sehen?“, fragte er.
„Da ist nur Gemüse“, sagte der Junge.
„Nur Gemüse“, wiederholte Appiah.
„Das gibt’s doch überall, Gemüse.“
„Das stimmt. Aber eures ist wahrscheinlich das einzige Gemüse auf diesem Planeten, oder?“
„Hm.“ Der Junge legte einen Keks zur Seite und dann wieder auf den Stapel.
„Das würde ich auf jeden Fall sehen wollen, das einzige Gemüse auf diesem Planeten“, sagte Yato.
Der Junge war immer noch nicht ganz überzeugt. „Wohnt ihr in einer Stadt“, fragte er schließlich, „mit vielen Leuten?“
„Ich lebe unter einem Wasserfall, auf Trappist’s Merveille“, sagte Appiah.
„Machst du Witze“, sagte der Junge.
„Fändest du es denn witzig, unter einem Wasserfall zu leben?“
„Ich glaube nicht.“ Der Junge dachte kurz nach und nickte dann. „Ich fände das ziemlich gut.“
„Ich finde es auch gut“, sagte Appiah. „Wir sind uns also einig.“
Er goss der Runde Tee nach, und sie nahmen die Tassen mit in das kleine Gewächshaus. Hier war in der Tat nur Gemüse, aber auch alles, was man davon benötigen konnte. „Braucht ihr vielleicht noch Tee?“, fragte Appiah. „Wir haben einen ordentlichen Vorrat auf dem Schiff, ich könnte es noch herunterschicken.“
„Alles gut“, sagte die Frau. „Es reicht noch eine Weile.“
„Auf dem Rückweg“, sagte Appiah.
„Auf dem Rückweg.“
Zurück an Bord der Sagarmatha werteten sie die letzten Aufnahmen aus, die die Schiffe von Dunhuang Siebzehn währenddessen hatten machen können; dann schickten sie über das Portal die aktuellsten Aufzeichnungen der Besatzung und die eine oder andere persönliche Nachricht zur Erde. Auch der Familie auf der Plattform hatte Appiah schließlich Kopien der kleinen Scheiben mit ihren Aufzeichnungen abringen können: Falls der Krieg sie hier doch noch auf fatale Weise erreichen sollte — und falls es jemals jemand erfahren würde — könnten sie immerhin rekonstruiert werden, wenngleich wohl Lichtjahre entfernt von dem trüben Gasplaneten, der dann eine Weile unbewohnt auskommen musste.
Appiah sah noch länger zu der Plattform in den purpurnen Wolkenstrudeln hinab. Niemand auf dieser Brücke hätte es ihm nachgesehen, wenn er die Leute dort unten vielleicht noch zu einem Schachspiel herausgefordert hätte. Keine Stunden mehr, bis über Dunhuang Siebzehn wahrscheinlich Tonnen von Stahl verglühen und Dutzende, Hunderte oder sogar Tausende von Menschen sterben würden. „Wir müssen“, sagte er bedauernd zu der Kapitänin.
„Im Orbit“
Warum habe ich das gesagt, dachte Abelia wieder, obwohl Carina schon lange zurück zu ihrem Planeten zurückgeflogen war. Niemand braucht mich hier. Und sie hatte es noch quer über die gesamte Brücke gerufen; wahrscheinlich waren alle nur zu höflich gewesen, um zu lachen, oder hatten, was noch wahrscheinlicher war, gar nicht erst zugehört. Aus diesem Zirkel ihrer Gedanken heraus bemerkte Abelia zuerst gar nicht, dass die Brücke in Aufruhr geraten war. Sie suchte die Displays und Projektionen in ihrer Nähe nach Anhaltspunkten ab, was den Aufruhr ausgelöst hatte, und fand zwei Punkte auf einer Sternkarte — zwei Schiffe, wie sie gerade die Lichtgeschwindigkeit verließen.
„Gefechtsmanöver aktivieren“, rief Basil Matei über ihr, „niedriger Orbit! Wir müssen in Bewegung bleiben!“
Die Morgenröte nahm langsam Geschwindigkeit auf. Durch das große Fenster auf der Brücke sah Abelia den Schrott über ihnen vorbeiziehen, der von den Satelliten und was sonst um den Planeten einst kreiste nun übrig war. Das meiste davon waren nur noch Fragmente, verkohlte und verbogene Metallstücke, auf denen Abelia nur selten irgendeine aufgemalte Nummer oder ein Symbol erkennen konnte, die ihr dann doch nichts bedeuteten. Manchmal, wenn das Licht richtig stand, blitzen Scherben von Solarpaneelen auf, als wäre hier ein Fischschwarm unterwegs, aber natürlich lebte da draußen nichts mehr. Sie hatten die Schrottfelder mit Pulsminen gespickt; die Minen wurden per Fernzünder gesteuert, doch sie hatten mehrfach beobachtet, wie die Dinger in der Ferne losgingen, weil sie mit einem Stück Schrott zusammengeprallt waren, und Matei hatte die Morgenröte vorsichtshalber in einen niedrigeren Orbit gesteuert, von wo aus sie der Puls nicht erreichen würde.
Die zwei Punkte, die Abelia gerade noch auf der Sternkarte gesehen hatte, blitzten jetzt auch auf dem großen Hologramm des Planeten auf, das langsam vor der Plattform des Kapitäns kreiste — nur kurz jedoch, denn ein Punkt verblasste gleich wieder, als eines der Schiffe hinter dem Planeten verschwand. Auch das andere Schiff war Hunderte von Kilometern entfernt, doch die Sensoren der Morgenröte lieferten immerhin ein Bild: Ein rechteckiges graues Ungetüm, übersät mit zahllosen Beulen und kleinen Türmchen.
„Wir greifen an“, sagte Matei. Um Abelia herum gingen die Leute zu den Routinen über, die sie in den letzten Jahren eingeübt hatten. Die Morgenröte hatte sich unterwegs einige Kämpfe mit kleineren Schiffen geliefert. Nichts, was gegen den Puls angekommen wäre: Transporter mit Schmuggelware, die einen Umweg durch das Weltall in Kauf nahmen, wo die Reise durch eines der Portale wohl zu riskant gewesen wäre, oder Kriegsschiffe auf Aufklärungsmissionen, die selbst darauf hofften, in den Weiten zwischen den Sternensystemen ein feindliches Schiff oder irgendwelche Signale abzufangen. Keines dieser Schiffe war eine Gefahr gewesen und wahrscheinlich nicht einmal eine nennenswerte Übung für die Besatzung der Morgenröte.
Mit den zwei Maschinen, die gerade bei diesem Planeten angekommen waren, konnte es anders sein. Auf der Projektion wurden die ersten Details des gegnerischen Schiffs erkennbar: Geschütze, Generatoren, die bereits flimmernde Energie um den Rumpf spannten, und Hangars, aus denen wahrscheinlich Tausende von Drohnen ausschwärmen würden, sobald sie in Reichweite waren. Nichts an diesem Schiff wirkte auf Abelia, als wäre es für die Reise durch das Weltall gestaltet; hier war die einfachste Lösung gesucht worden, um möglichst viel Kriegsgerät unterbringen zu können. Sie erinnerte sich noch gut an die ersten Schiffe, die sie auf ihrer Reise auf der Morgenröte zu Gesicht bekommen hatte: Die Flotte aus kantigen, schwarz glänzenden Maschinen, die nicht nur vor Waffen starrten, sondern in ihren scharfen Formen auch selbst welche zu symbolisieren schienen. Anders, aber genauso abstoßend, dachte Abelia, als sie den grauen Monolithen auf der Projektion betrachtete. Und genauso beeindruckend, auf ihre Weise.
Das graue Schiff hielt weiten Abstand von den Trümmerfeldern und schien seinen Kurs anzupassen, um auch der Morgenröte nicht allzu nahezukommen. „In Ordnung“, gab Matei oben durch. „Langsam annähern, wenn möglich. Vorsichtig, wir wissen nicht, wo das Zweite ist.“
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Aus der Lichtgeschwindigkeit heraus war es unmöglich gewesen, selbst ein so großes Schiff wie die Morgenröte zu orten, und so hatten die Elbrus und die Sagarmatha zuerst unterschiedliche Punkte über Dunhuang Siebzehn angesteuert. Dort, wo die Sagarmatha ankam, war erstmal nichts.
„Schwache Signale“, sagte der Wissenschaftsoffizier und wischte durch die Auswertungen, die auf seinem Display aufschienen. „Nichts, das irgendwas bedeuten würde. Reststrom, Brennstoffzellen.“
„Wo“, sagte Appiah und starrte durch das Fenster vor ihnen ins All.
Der Wissenschaftsoffizier blendete eine große Projektion ein. Das war Dunhuang Siebzehn, viele Hunderte von Kilometern unter ihnen; zwischen ihnen und dem Planeten unzählige kleine Flecken, ausgefranste Trümmer, die verbeulten Hüllen von Satelliten und Gerippe aus verbogenen Metallstreben, über der blaugrünen Oberfläche des Planeten dahintreibend wie irgendwelcher Dreck in einem sonst ganz schönen Gewässer.
„Hm“, sagte Appiah, „wir müssen die Sonden losschicken.“
Von der Brücke aus beobachteten sie, wie die kleinen Maschinen über der Sagarmatha aufstiegen und in alle Richtungen auseinanderstoben. Wenige Sekunden später war das Glühen ihrer Triebwerke nicht länger zu sehen, und noch einige Sekunden darauf gingen die ersten Signale von den Sonden ein; sie würden nicht nur Informationen über die Planetenoberfläche liefern können, sondern auch die Kommunikation mir der Elbrus ermöglichen, die hoffentlich gerade auf der anderen Seite des Planeten ihrerseits einen Schwarm Sonden losgeschickt hatte.
„Und eine halbe Drehung um die Längsachse“, sagte Appiah und machte mit dem Finger einen Kringel in die Luft. Die Sagarmatha hatte streng genommen keine korrekte Ausrichtung; auf der einen flachen Seite waren mehr Schildgeneratoren und eine stärkere physische Panzerung, auf der anderen mehr Geschütze, und in welche Richtung sie sich drehte war eine Frage der Taktik und nicht von oben oder unten. Die Brücke war recht weit hinten in einem Aufbau auf der Seite mit den Geschützen untergebracht, aber auch hier waren die Sessel und Arbeitsstationen so montiert, wie sich damit optimal alle Wände füllen ließen, und jede weitere Fläche mit gepolsterten Bänken, Griffen und Magnetplatten bedeckt, das Kunstleder weiß und alles andere in einer neutralen Farbe lackiert, die jede Änderung der Lichtverhältnisse dankbar in irgendeinen schmutzigen Grauton umdeutete. So mussten die ersten Raumschiffe auch schon ausgesehen haben, vor Tausenden von Jahren, hatte Appiah gedacht, als er vor ein paar Tagen auf diese Brücke gekommen war.
Die Ansicht draußen drehte sich kurz, sodass Appiah von seinem Sessel aus das Trümmerfeld über ihnen sah wie einen Himmel voller Asche und bedrohlicher Vögel.
„Sondennetz wird aufgebaut“, sagte der Wissenschaftsoffizier.
„Können wir schon etwas sehen?“, fragte Appiah. „Eine Stadt, vielleicht?“
„Ich habe etwas“, sagte der Wissenschaftsoffizier und ließ eine neue Projektion aufleuchten. „Die sehen hier alle so aus“, ergänzte er, als das Raster einer der Städte Dunhuang Siebzehns sichtbar wurde. „Ich zoome hinein.“
„Menschen“, sagte Appiah. „Vor den Häusern. Auf der Straße.“ Er schnallte sich aus seinem Sessel, um an das Fenster zu schweben. Wenn er den Kopf zurücklegte, konnte er oben den Planeten sehen, doch er war natürlich viel zu weit entfernt, um irgendetwas Menschengemachtes erkennen zu können.
„Schäden“, sagte Yato hinter ihm und deutete auf ein paar Stellen auf der Projektion, die der Bordcomputer geflissentlich digital markierte. „Hier hat etwas gebrannt, da vielleicht ein Bombeneinschlag, eine Explosion.“
„Kann jemand die Aufnahmen nach aktiven Kampfhandlungen durchgehen“, sagte Appiah, ohne sich umzudrehen.
„Natürlich.“
Es wurde sehr still auf der Brücke der Sagarmatha. Das ist ein besetzter Planet, dachte Appiah. Wir sollten mit einer ganzen Flotte hier sein, und mit ganzen Armeen. Aber dann würden wir vielleicht sofort eine ganze Flotte und ganze Armeen verlieren.
„Signal von der Elbrus“, sagte jemand.
„Gut“, sagte Appiah. „Als Projektion.“
Der Kapitän der Elbrus war jünger, aber ebenso wie Appiah ein Veteran vieler Scharmützel gegen die Weltraumpiraterie. Auch bei der schlechten Qualität der Bildübertragung, die wohl gerade über mehrere der Sonden hinweg um den halben Planeten ging, war ihm die Anspannung anzusehen. „Wir haben die Morgenröte gesichtet“, sagte er, „und sie uns. Wir fliegen Ausweichmanöver, halten sie noch gut auf Distanz.“
„Das ist am besten“, sagt Appiah und schwebte zurück zu seinem Sessel. Jemand hatte das Hologramm des Planeten eingeblendet, mit zwei blauen Punkten für die Elbrus und die Sagarmatha und einem roten für die Position der Morgenröte, die die Elbrus übermittelt hatte. „Wir sind bald bei euch.“
🌠🌠
Das ist eine Falle, dachte Eran Debro. Oder sie haben Angst. Das Schlachtschiff hatte sich sofort zurückgezogen, als die Morgenröte Kurs in seine Richtung gesetzt hatte, blieb aber bei hoher Geschwindigkeit im Orbit des Planeten. Das andere Schiff musste irgendwo warten; vielleicht auf eine günstige Situation, um die Morgenröte anzugreifen, oder um ungestört Transporter auf den Planeten selbst schicken zu können. Debro hatte solche Schiffe noch nie gesehen. Auch in den Datenbanken der Morgenröte fanden sich bestenfalls Vorgängermodelle, aus denen sich diese Maschinen entwickelt hatten: Große Waffenplattformen, die innerhalb einer Flotte die Feuerkraft bereitstellten, um wahrscheinlich jedes Hindernis auszuschalten. Sie waren wesentlich kleiner als die Morgenröte, aber es waren zwei.
„Wir werden sehen, was wir gelernt haben“, hatte Basil Matei gesagt, „wir und sie“. Das stimmte, aber gleichzeitig war es wohl für beide Parteien eine ganz neue Situation.
„Da sind sie“, sagte jemand. Auf dem Hologramm waren wieder beide Punkte zu sehen. Das zweite Schiff hatte noch auf der anderen Seite des Planeten einen Kurs eingeschlagen, bei dem es mit seinem Zwilling die Morgenröte in die Zange nahm; bei dieser Geschwindigkeit war es nicht mehr möglich, sich aus dieser Sache herauszumanövrieren.
Sie werden angreifen, dachte Debro.
„Gut berechnet“, sagte Matei und betrachtete die Linien, mit denen die voraussichtlichen Kurse der drei Schiffe auf dem Hologramm eingezeichnet waren. „Sie müssen in Kontakt geblieben sein. Ein Netzwerk auf dem Planeten, das wir übersehen haben, oder etwas, das wir noch gar nicht kennen.“
„Wir bekommen ein Signal hinein“, sagte der Wissenschaftsoffizier.
„Annehmen.“
Das Bild auf der Projektion war schwach und voller Störungen, die Brücke des Schlachtschiffes und die in ihren Raumanzügen in die Sessel gezwängten Menschen aber dennoch ausreichend gut zu erkennen. Die Person in der Mitte deutete eine Verbeugung an. „Wir sind die Elbrus und die Sagarmatha. Vielleicht können wir reden.“
„Worüber“, sagte Matei in sein Mikro.
„Oh.“ Sein Gegenüber auf dem fremden Schiff machte sich an seinem Helm zu schaffen und konnte ihn schließlich abnehmen: Ein stattlicher Greis, der auf den ersten Blick wirkte, als hätte er sich zu seinem eigenen Erstaunen gerade erst auf dieser Brücke wiedergefunden. „So ist es vielleicht besser“, sagte er. „Worüber wollen wir reden?“
„Ja“, sagte Matei, „worüber?“
„Vielleicht zuerst darüber, warum ihr hier seid.“
Debro versuchte den Linien auf dem Hologramm zu folgen, ohne auch den Mann aus den Augen zu lassen. Vielleicht war es ein Spiel auf Zeit, aber am Kurs der Schiffe schien sich nichts zu ändern.
„Wir waren zu lange weg“, sagte Matei. „Viel zu lange.“
„Oh“, sagte der Andere. „Das ist sicher ein guter Grund. Dann muss es vielleicht eine andere Frage sein.“
„Vielleicht können wir euch zuerst die gleiche Frage stellen.“
„Natürlich. Dieser Planet gehört der Res Publica an. Wir sind also hier, um für die Res Publica wieder Kontakt zu diesem Planeten herzustellen, nachdem er zuletzt abgebrochen ist.“
„Vielleicht gehört dieser Planet jetzt nicht mehr der Res Publica an.“
„Oh, das kann natürlich sein. Dafür gibt es Verfahren, die die planetare Verwaltung einleiten muss. Wir sollten uns darüber bei der Verwaltung informieren.“
„Verwaltung“, sagte Matei. „Nun gut. Vielleicht ist dafür später noch Zeit.“
„Ich verstehe.“
🌠🌠🌠
Zenon Appiah schaltete die Übertragung aus und setzte seinen Helm auf. „Wir waren zu lange weg“, wiederholte er. Das war nicht die Zeit dafür, aber natürlich musste Appiah gerade jetzt an sein Gewächshaus denken. Er hatte eine Drohne programmiert, die regelmäßig die Pflanzen goss und gegebenenfalls irgendetwas in Ordnung brachte, aber das war weder im Sinne der Pflanzen noch in seinem. „Ich könnte auch gerne wieder nach Hause“, sagte er, „wie geht es euch damit? Bringen wir das doch hinter uns.“ Nach Jahrzehnten auf Schiffsbrücken konnte er schnell erkennen, wenn ein Gegenüber nicht an Verhandlungen interessiert war; hier war es schon nach den ersten Sätzen eindeutig gewesen. Aber vielleicht irre ich mich, dachte er. Dass der Kapitän der Morgenröte die Schlacht wollte, hieß nicht, dass man sie ihm geben musste.
Die drei Schiffe waren noch so weit voneinander entfernt, dass selbst die riesige Morgenröte von der Sagarmatha aus mit bloßem Auge ein kleiner Fleck gewesen wäre. Diese Entfernungen waren trügerisch; bei der Geschwindigkeit, mit der die Morgenröte unter und die beiden Schlachtschiffe über dem Trümmerfeld flogen, konnte die kleinste Kursänderung dazu führen, dass sie sich unversehens Seite an Seite wiederfinden konnten. Noch schien alles berechenbar; die Sagarmatha könnte ihre Geschütze auf einen Punkt viele Kilometer vor der Morgenröte ausrichten und zielgenau Lanzen aus Plasma dorthin schicken, wo das Schiff in wenigen Sekunden sein würde — falls der Computer der Morgenröte nicht schnell genug eine Kursänderung einleiten könnte, und die feurigen Geschosse irgendwo im All verglühen oder, schlimmstenfalls, in die Atmosphäre Dunhuang Siebzehns eindringen würden. Wir wollen doch nicht den Planeten bombardieren, dachte Appiah, aber noch hielt ihn etwas davon ab, die Sagarmatha in das Trümmerfeld zu tauchen.
„Nein, nutzen wir die Zeit“, sagte er. „Scannt den Planeten, alles, was ihr finden könnt, was irgendwie helfen könnte. Vielleicht hilft auch schon jede Minute, die wir dieses Schiff da unten beschäftigen.“
🌠🌠🌠🌠
„Sie werden nicht angreifen“, sagte Matei.
„Nein“, sagte Eran Debro und verfolgte die drei geraden Linien auf dem Hologramm nach. So konnten sie noch Tage um den Planeten kreisen.
„Dann wollen wir mal“, sagte Matei mit einem Schulterzucken. „Schilde auf hundert Prozent. Dauerbeschuss auf das erste Schiff, mit sechzig Prozent der überschüssigen Energie.“
„Ist eingerichtet“, sagte eine Offizierin.
„Feuer frei.“
Blaue Lichtstreifen zuckten zwischen der Morgenröte und der Elbrus durch das Vakuum und vaporisierten irgendwelche Trümmer, die zufällig im Weg waren. Nur wenige der Schüsse trafen ihr Ziel, als die Elbrus automatische Ausweichmanöver einleitete, und auch dann zerflossen sie wirkungslos an den Energieschilden.
„Schilde halten“, sagte der Kapitän der Elbrus, dessen kleines Porträt auf der Brücke der Sagarmatha schwebte wie das Gespenst eines weiteren Besatzungsmitglieds. „Das ist nichts, wir könnten Kurs halten und das Doppelte wegstecken.“
„Das wissen die natürlich“, sagte Appiah.
„Natürlich“, wiederholte der Kapitän mit einem halben Lächeln.
„Halten sie trotzdem Kurs“, sagte Appiah. „Wir halten auch Kurs. Leichtes Sperrfeuer auf die Morgenröte. Aber bitte nicht den Planeten beschießen.“
„Sind bereit“, sagte der Waffensystemoffizier.
„Feuer frei.“
Appiah spürte die ersten schwachen Erschütterungen, als die Geschütze der Sagarmatha begannen, Energiestöße ins Weltall zu pumpen. Noch war das alles nur Taktieren, unverbindliche Proben, zu was der Gegner wohl in der Lage sein konnte.
🌠🌠🌠🌠🌠
Eran Debro hatte viele Manöver erlebt, noch bevor er auf die Morgenröte gestiegen war. Meistens kam irgendwann der Moment, an dem abstrahiert werden musste: Die Bewegungen der einzelnen Einheiten waren in sich zu komplex und die Schlachtfelder zu groß, um alles im Blick behalten und selbst noch Entscheidungen treffen zu können. Aus einzelnen Menschen, die sich an einer Wand entlang schlichen wurde so eine Einheit, die sich hinter dem Gebäude in Deckung befand; aus einem Panzerwagen wurde ein Symbol auf einem Display. Letzteres hatte Debro allerdings am ehesten in Übungen an der Militärakademie gesehen — im Feld hatte die Pulswaffe dafür gesorgt, dass elektronische Hilfsmittel meistens erst gar nicht eingeplant wurden. Dennoch hatten selbst die Symbole auf den Karten noch eine konkrete Bedeutung gehabt; mit vielen hatte Debro sogar Gesichter verbinden können, oder die Formen und die Masse eines Fahrzeugs, das er vor kurzem noch aus dem Hangar hatte fahren sehen.
Hier im Weltraum schien alles nur noch Abstraktion. Debro ertappte sich dabei, wie er nichts mehr wahrnahm als die kleinen Punkte, die sich über das Hologramm bewegten, als wäre das die ganze Wirklichkeit des Sternenkriegs und nicht gewaltige Schiffe, jedes selbst so groß, dass sich auf seiner Oberfläche ganze Armeen Schlachten liefern konnten. Gerade hatte er einen der Punkte zittern sehen. Zuvor war die vorausberechnete Route für das Schiff vor dem Punkt noch eine gerade Linie gewesen, jetzt flimmerten davor Bögen und Schlaufen auf, als der Computer versuchte, aus den Bewegungen des Schiffs dessen neuen Kurs zu erahnen — nur kurz aber, denn bald hatte sich der Punkt wieder so weit beruhigt, um zuverlässig einer Linie folgen zu können. Das kann nicht alles sein, dachte Debro. Punkte und Linien. Er rief vor seinem Sessel die Außenkameras auf und fand bald eine Ansicht des Schlachtschiffs, ein grauer Kasten, der weit über ihnen stoisch seinem geraden Kurs folgte.
„Schilde halten“, sagte die Offizierin eher beiläufig. Das zweite Schlachtschiff hatte seinerseits begonnen, die Morgenröte zu beschießen, doch diese Angriffe waren ebenso wirkungslos wie ihr eigener.
„Das meinen die nicht ernst“, sagte Matei. „Noch nicht. Gut. Dauerbeschuss jetzt auf das andere Schiff, hundert Prozent der überschüssigen Energie.“
Abelia sah am großen Fenster zu, wie die Geschütze unter der Brücke sich langsam drehten, um ihre Strahlen auf das zweite der Schlachtschiffe über der Morgenröte zu lenken. Keine Rüstung der Welt würde einen Menschen vor solcher Energie schützen können, aber die Schildgeneratoren der Schiffe bewältigten es ohne weiteres. Das steht doch in gar keinem Verhältnis mehr, dachte sie, zu überhaupt irgendetwas anderem.
„Und … wir werden angegriffen“, sagte Yato, als wäre das nur eine lästige Konsequenz der ganzen Angelegenheit und keine Bedrohung.
Sie haben Generationen an Fortschritten verpasst, dachte Appiah, während die Angriffe der Morgenröte an den Schilden der Sagarmatha verliefen wie ein leichter Regenschauer in einem Ozean. Nur dieser Puls, den hatten sie voraus, und vielleicht sehr weit voraus.
„Elbrus“, sagte er, „Angriff. Aber vorsichtig.“
„Verstanden“, sagte der Kapitän.
Abelia zuckte unmerklich zusammen, als draußen die gesamte Fläche eines der Energieschilde aufschien: Ein riesiges, bläuliches Rechteck, das sich für wenige Sekunden über dem Rumpf der Morgenröte aufspannte wie eine Projektion, in der das Bild fehlte. Einzelne Treffer hatte der Schild einfach geschluckt, aber unter dem Sperrfeuer der beiden Schlachtschiffe konnte er die Energie nicht mehr unmittelbar ableiten. Abelia drehte sich instinktiv um, als sie auf der ganzen Brücke eine neue Stimmung zu spüren meinte; auf den ersten Blick war da nichts, auf den zweiten schien es, dass sich alle nur nichts anmerken ließen; danach drehte sie sich lieber wieder zum Fenster, bevor noch jemand ihr etwas anzumerken glaubte.
„Schilde halten“, sagte die Offizierin wieder, aber jetzt war es keine Information mehr, sondern eine Warnung. So schnell, dachte Eran Debro, und wir sind wieder an unseren Grenzen angelangt. Gerade schien alles noch ein taktisches Spiel gewesen zu sein; jetzt schaute er durch das Fenster in einen dunklen Gewitterhimmel, als draußen Plasmawolken aufblühten und die Schilde ihre Anspannung in Blitzkaskaden entluden. Noch war nichts durchgedrungen, aber früher oder später würden die Schilde versagen. Er spürte einen irrationalen Zorn in sich aufwallen. Warum gibt es keinen Ort, an dem der Himmel uns nicht hasst, dachte er und hatte sofort wieder die tote, bleiche Wolkendecke vor Augen, die den Planeten bedeckte, den er hinter sich gelassen hatte. Er sah zu Matei hinüber, aber der ältere Soldat hatte das etwas ungeduldige Lächeln nicht abgelegt, das er immer auftrug.
„Unsere Minen“, sagte Matei. „Kann ich sie auf das Hologramm bekommen.“
Kleine Punkte leuchteten auf der kugelförmigen Projektion auf. Sie waren unregelmäßig verteilt, von der Morgenröte nebenbei ausgeschickt und oft genug ungeplant von alleine detoniert.
„Gut“, sagte Matei. „Kurskorrektur, auf siebzehn, und zwei. Puls zur Zündung bereitmachen. Wir steigen auf, bis wir in Reichweite sind. Jetzt.“
„Kursänderung der Morgenröte“, sagte der Bordcomputer der Sagarmatha, aber Appiah hatte zeitgleich gesehen, wie unter ihnen die ersten Schrottstücke aus dem Trümmerfeld an den Schilden des riesigen orangen Schiffs zerschellten. Die Morgenröte tauchte zu ihnen auf.
„Elbrus, Sagarmatha“, rief Appiah, „volle Unterlichtgeschwindigkeit, sie werden ihren Puls zünden. Los, und zu den Flanken abdrehen.“
Eran Debro spürte es, bevor er es verstand, so sehr war er bereits auf das Hologramm eingestimmt. Sie werden schneller, dachte er dann und hatte sich da schon halb aus seinem Sessel aufgerichtet. Die beiden Punkte hatten an Geschwindigkeit aufgenommen; zuerst unmerklich, doch jetzt hatten sie die Morgenröte bereits hinter sich gelassen. Neben ihm atmete Basil Matei hörbar aus.
„Puls zünden, sobald bereit“, sagte er.
Zu spät, dachte Debro. Das künstliche Gewitter vor dem Fenster hatte sich gelegt, und er meinte, über ihnen die Triebwerke der zwei Schlachtschiffe zu sehen, helle Flecken, die immer kleiner wurden, auch draußen im All nicht größer als die Punkte auf dem Hologramm.
Der tiefe Glockenton der Pulswaffe füllte die Brücke. Debro merkte, wie alle — und auch er selbst — für einen Augenblick innehielten, als hätte erst dieser feierliche Klang der ganzen Situation Bedeutung verliehen. „Puls freigesetzt“, sagte ein Offizier.
Matei blinzelte wie jemand, der aus einem kurzen Schlaf gerissen worden war. „Schilde auf zehn Prozent, volle Energie auf die Waffensysteme, auf das Schiff auf Steuerbord“, rief er. „Feuer frei.“
Mittlerweile geschah so viel auf einmal, dass Abelia nicht mehr von Überforderung, sondern vielmehr von einem Gefühl der Erhabenheit erfasst wurde. Der Beschuss durch die gegnerischen Schiffe hatte ein Ende genommen, doch jetzt war es der Weltraumschrott, der die verbliebenen Schilde zum Blitzen brachte. Hier und da sah Abelia, wie die Schilde nachgaben und sich Löcher in sie hineinfraßen wie Feuer in Papier; dann kamen die Trümmer der Morgenröte gefährlich nahe oder prallten schließlich gegen die Außenhülle, zerbarsten in weitere Fragmente oder rissen sogar Teile des Schiffes ab, bis sich der ganze Müll zwischen den Aufbauten und Geschütztürmen sammelte. Aber das waren Dinge, die Abelia nur nebenbei bemerkte; gerade noch hatte sie die Lichtwelle des Pulses betrachten können, wie sie in den Tiefen des Weltalls verschwand, und jetzt entluden sich vor ihr die Geschütze der Morgenröte: Dutzende von Energiestrahlen und Plasmageschossen, die schließlich zu einem einzigen Gleisen zusammenzufließen schienen, um in weiter Ferne ihr Ziel zu finden. Das Spektakel aus Licht und Hitze dauerte einige Sekunden; dann war draußen wieder nur Dunkelheit, und auch das Trümmerfeld lag nun unter ihnen.
🌠🌠🌠🌠🌠🌠
„Treffer am Haupttriebwerk“, rief jemand, aber alle auf der Brücke der Sagarmatha spürten selbst, wie das Schiff unter den Einschlägen erzitterte.
„Schadensbericht“, sagte Appiah.
„Triebwerk fünf ausgefallen, Triebwerke vier und sechs beschädigt, Manövrierfähigkeit eingeschränkt.“
Auf dem Übersichtsdisplay vor Appiahs Sessel sank die Geschwindigkeit der Sagarmatha so schnell, dass die hintersten Zahlen wahllos hin und her zu springen schienen; sie stiegen — viel langsamer — wieder, als der Bordcomputer den Schub neu auf die Triebwerke verteilte. Auf einer kleinen Karte zog neben ihnen die Elbrus vorbei und begann bereits, nach links abzudrehen.
Appiah faltete die Hände und machte eine kleine Atemübung. Eine große Projektion über der Brücke zeigte eine Kameraansicht der Morgenröte, die, nun über dem Trümmerfeld fliegend, trotz allem immer weiter zurückblieb. Zu ihren Seiten breiteten sich Wellen aus Licht aus. Alle an Bord der Sagarmatha hatten diese Wellen auf schlechten Aufnahmen der Invasion Dunhuang Siebzehns gesehen: Schillernde Wolkenoberflächen ohne Masse, die sich aufblähten und ausweiteten und auf ihrem Weg zumindest alle elektronischen Augen erblinden ließen, bis von ganz Dunhuang Siebzehn schließlich keine Bilder mehr gekommen waren. Jetzt sahen sie dieses katastrophale Leuchten unter der Sagarmatha durch das Weltall kriechen, immer schwächer, bis schließlich die letzten glitzernden Partikel erloschen.
„Waren wir schnell genug“, sagte der Kapitän der Elbrus über Funk in die Stille hinein.
„Wir waren schnell genug“, sagte Appiah und hörte seine Crew kollektiv aufatmen. Selbst mit beschädigten Triebwerken hatte die Sagarmatha dem Puls entkommen können.
„Elbrus“, sagte Appiah, „Greift an, wenn bereit. Wie es aussieht, spielen wir jetzt den Köder.“
„Mit Vergnügen“, sagte der Kapitän des zweiten Schiffes.
🌠🌠🌠🌠🌠🌠🌠
Das sind sie, dachte Eran Debro. Die kleine Reihe aus Lichtflecken hinter dem Fenster wurde zunehmend größer, je mehr Geschwindigkeit die Sagarmatha aufnahm. Mittlerweile konnte Debro sogar erkennen, dass die Reihe nicht ganz symmetrisch war; der Angriff der Morgenröte musste die Triebwerke des Schiffes beschädigt haben, das jetzt langsamer zur Seite abdrehte. Matei hatte sie mit dem Puls nicht treffen wollen, stellte Debro fest; er wollte sie viel eher vor die Morgenröte scheuchen.
Sie schickten dem fliehenden Schiff Salve um Salve hinterher, doch der Überraschungseffekt war verflogen; die wenigen Geschosse, die bei dem Schiff ankamen, wurden an dessen Schilden oder durch irgendwelche Drohnen abgefangen. Immerhin haben wir sie da, wo wir sie haben wollen, dachte Debro. Sie uns aber auch. Das zweite Schiff hatte zuerst noch abgedreht, war dann aber eine enge Schleife geflogen und saß nun seinerseits der Morgenröte im Nacken.
„Schilde auf hundert Prozent“, sagte Matei, der die letzten Augenblicke nur auf eine Vergrößerung des Hologramms gestarrt hatte. „Kurskorrektur auf zwei, acht. Maximaler Sinkflug.“
Die ersten Schrottstücke prallten gegen die Schilde, als die Morgenröte leicht zur Seite schwenkte und wieder in das Trümmerfeld abtauchte.
Was machen sie da, dachte Appiah. „Elbrus, bleibt oben“, sagte er, während das riesige orange Schiff der Planetenoberfläche entgegen sank.
„Verstanden.“ Die Elbrus passte oberhalb des Trümmerfelds ihren Kurs an wie ein Schiff auf hoher See, das irgendeinem Meeresuntier zumindest an der Oberfläche folgen will. Appiah ging noch die möglichen Taktiken durch, als jemand Alarm schlug.
„Energieentladung bei der Elbrus“, rief Yato.
„Haben wir ein Bild“, sagte Appiah, doch Yato hatte bereits die entsprechende Kamera aufgerufen: Hier war sie wieder, eine Wolke aus Licht, die sich inmitten des Trümmerfelds wie aus dem Nichts aufblähte.
„Volle Kraft voraus“, rief Appiah instinktiv, während auf der Projektion die Elbrus mitten durch die Lichtwellen glitt.
„Gute Güte“, sagte die Kapitänin der Sagarmatha, während sie zusahen, wie auf der Elbrus die Lichter ausgingen; im Grunde bereits ein Wrack, dass jetzt nur antriebslos weiter um den Planeten kreiste.
„Das kam nicht von der Morgenröte“, sagte Yato. „Eine lokale Ausstrahlung, geringer Radius.“
„Eine Bombe“, sagte Appiah, „eine Mine, sie könnten sie in den Trümmern versteckt haben.“
„Ich habe etwas“, sagte der Wissenschaftsoffizier. „Ein Signal, kurz vor der Entladung.“
„Können wir damit arbeiten?“ Appiah drosselte die Geschwindigkeit der Sagarmatha. Die Morgenröte war außer Sichtweite, aber dank der Sonden konnten sie immer noch ihren Kurs verfolgen.
„Da“, sagte der Wissenschaftsoffizier. Auf der Karte leuchteten rot kleine Punkte auf, unregelmäßig im Orbit verstreut. „Die senden alle auf der gleichen Frequenz.“
„Sie sind überall“, sagte Yato.
„Soll ich eine Sonde schicken“, fragte der Wissenschaftsoffizier.
„Ja“, sagte Appiah. „Schauen wir uns das an. Und Kurs auf die Elbrus setzen. Und Abstand zu diesen Dingern halten. Vorsichtig.“
Bald sendete die Sonde die ersten Bilder von einem der Objekte: Nicht viel mehr als ein bronzener Kanister, der zwischen dem Schrott schwebte; nichts, was hier jemand für etwas anderes als nur ein weiteres Teil erkannt hätte, das zuvor zu einem Satelliten oder Ähnlichem gehört hatte und nun nutzlos dahintrieb.
„Da würde ich gerne mal hineinschauen“, sagte der Wissenschaftsoffizier wehmütig.
„Ja“, sagte Appiah, „wir finden sicher noch ein paar. Wollen wir dieses eine hier abschießen, und sehen, was passiert?“
„Bin dran“, sagte Yato. Eines der Geschütze vor dem Fenster drehte sich gemächlich, um schließlich einen grellen Strahl ins All zu schicken. Wenige Sekunden später sahen sie das Energiegeschoss auf dem Kamerabild der Sonde vorbeiziehen; wo zuvor die Mine gewesen waren, blieben jetzt nicht einmal Reste.
„Gut“, sagte Yato. „Es muss offenbar aktiv gezündet werden, um den Puls auszulösen.“
Appiah nickte. „Schalten wir die anderen unterwegs auch aus“, sagte er. „Es bleiben sicher noch genug übrig“, fügte er noch an, als er das betretene Schweigen des Wissenschaftsoffiziers förmlich über die Lautsprecher in seinem Helm zu hören meinte.
Einer nach dem anderen erloschen die roten Punkte auf der Karte. „Wie geht es unseren Triebwerken?“, fragte Appiah. Auch wenn die Elbrus jetzt kraftlos dahintrieb, war sie bei einer so hohen Geschwindigkeit in einen Orbit eingetreten, dass die beschädigte Sagarmatha möglicherweise gar nicht zu ihr aufholen konnte. Eine Stunde, dachte Appiah, eine Stunde haben unsere Anzüge Atemluft, wenn die komplexeren Lebenserhaltungssysteme ausfallen. Dass sie die Besatzung der Elbrus von der Sagarmatha aus evakuieren konnten, war illusorisch, aber zumindest ein gutes Ziel.
„Schlechte Nachrichten“, sagte ein Ingenieur über Funk. Appiah blendete das Porträt des Mannes aus dem Maschinenraum vor sich ein. Hätte er den Ingenieur nicht bereits zuvor getroffen gehabt, hätte er sich durchaus vorstellen können, dass der ausgelaugte Mann auf der kleinen Projektion gerade erst in den letzten Augenblicken ergraut war. „So können wir nicht in Lichtgeschwindigkeit gehen“, sagte der Ingenieur. „Das würde die Triebwerke einfach auseinanderreißen, so wie sie jetzt aussehen. Wir brauchen Reparaturen, stationäre Reparaturen.“
„Danke“, sagte Appiah. „Dann müssen wir wohl erst mal hierbleiben.“
Ohne Licht hinter den Fenstern und ohne das schwache Glühen der Schildgeneratoren sah die Elbrus vollends wie ein fremdartiger grauer Monolith aus. Sie waren gerade wieder auf der hellen Seite des Planeten angekommen, und das Licht des Sterns fiel schräg auf das dahintreibende Schiff, sodass die starken Schatten der Aufbauten und Hangars seine Oberfläche erst recht wirken ließen wie eine Kraterlandschaft. Es gab hier nichts mehr zu tun; sie hätten einen Transporter schicken können, und vielleicht hätte ein Team in das Wrack eindringen und einige Überlebende evakuieren können, aber auf der Karte blitze bereits wieder die Morgenröte als Punkt auf.
„Wir sollten die Gefechtsdaten an unsere Freundin von der Galaktischen Patrouille schicken“, sagte Appiah. „Können wir das?“
„Solange wir auf der hellen Seite bleiben, müssten sie das Signal empfangen können“, sagte der Wissenschaftsoffizier, nachdem er seine Berechnungen gemacht hatte.
„Gut“, sagte Appiah. „Ausweichkurs. Nicht zu nahe herankommen lassen.“
Die Morgenröte war noch weit genug entfernt gewesen, als sie das gesamte Datenpaket in Richtung der Gandiva Zwei gesendet hatten. Appiah zog seinen Helm aus und schaute sich auf der Brücke um. „Ich habe nachgedacht. Wie lange sollten wir vorausplanen? Wie viel sollten wir hier ausrichten?“
„Oh“, sagte Yato, „so viel wie möglich. Aber ich möchte auch so viel wie möglich davon erleben, falls wir über unseren Einsatz hier hinaus planen.“
„Ich verstehe“, sagte Appiah, der auch gegen Yato schon mal im Schach verloren hatte. „Und ich habe eine Idee.“
Sie begegneten der Morgenröte noch einige weitere Male, in solchen Entfernungen, dass die kurzen Gefechte ganz den Bordcomputern überlassen und zu Rechenübungen wurden, in denen sich die Wahrscheinlichkeiten von Schiffskursen und Schussgeschwindigkeiten und Schildstärken und Ausweichmanövern am Ende gegenseitig aufhoben und keines der Schiffe einen Treffer landen konnte. Nach dem dritten Mal meinte Appiah verstanden zu haben, mit welchen Bewegungen die Morgenröte die Sagarmatha verfolgte. Sie waren gerade wieder erfolgreich entkommen; ein glückliches Manöver, bei dem die Sagarmatha plötzlich hinter der Morgenröte saß und das riesige Schiff auf eine Weise auszuweichen versuchte, die der Sagarmatha eine schnelle Wendung in eine ganz andere Richtung ermöglicht hatte. Es würde gut eine Viertelstunde dauern, bis sie sich wieder begegnen konnten. „Dann probieren wir das doch aus“, sagte Appiah, und die letzten Leute, die noch auf der Brücke geblieben waren, prüften vorsorglich die Verschlüsse an ihren Raumanzügen.
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„Wir müssen dem ein Ende setzen“, sagte Basil Matei und klatschte in die Hände, als das Schlachtschiff schließlich wieder auf ihrer Seite des Planeten auftauchte. „Auch diese Leute sind des Ganzen sicher müde.“
Die Kurve, die der Computer für den Kurs des Schlachtschiffs vorausberechnete, hätte auch Eran Debro selbst auf der Karte einzeichnen können. Die Manöver ihres Gegners waren manchmal genialisch, meistens aber von einer schon starrsinnigen Regelmäßigkeit. Würde das Schiff seinen Kurs beibehalten, müsste es nicht noch ein weiteres Mal zu einem der Scheingefechte aus der Ferne kommen.
„Puls laden“, sagte Basil Matei, und Debro nickte instinktiv. Er nahm sich etwas Zeit, der Besatzung auf der Brücke bei der Arbeit zuzusehen, und als er wieder auf sein Display schaute, waren die beiden Punkte auf der Karte genau dort, wo er sie vermutet hatte. Das Schlachtschiff wollte es auf eine direkte Konfrontation ankommen lassen.
„Meldung von einer Garnison“, rief jemand, „Objekte beim Eintritt in die Atmosphäre gesichtet.“
„Sie haben die Besatzung weggeschickt“, sagte Debro. „Ein letzter Angriff, vielleicht.“
„Warum nicht“, sagte Matei. „Schilde auf hundert Prozent.“
Selbst auf dem großen Hologramm des Planeten waren die Schiffe jetzt zu nahe, um die beiden leuchtenden Punkte noch auseinanderhalten zu können. Abelia sah, wie jemand zum Fenster deutete, und auch auf der Plattform schienen Matei und Debro bereits durch die Projektionen hindurchzustarren. Tatsächlich waren da wieder die glühenden Flecken der Antriebe des Schlachtschiffs und bald auch der ganze graue Kasten, immer näher, bis Abelia schließlich die einzelnen beleuchteten Fenster auf den Aufbauten erkennen konnte.
„Puls zünden, wenn in Reichweite“, sagte Matei oben.
Kurz darauf hatte die Morgenröte zu dem Schlachtschiff aufgeholt. Abelia schwebte ganz vor bis ans Fenster, um das kleinere Schiff auf der Backbordseite sehen zu können, aber der Winkel war nicht besonders gut. Dann ertönte der Glockenton der Pulsgeneratoren, und Wellen aus Licht spülten in die Richtung des Schlachtschiffes und über es hinweg.
Nein, dachte Debro plötzlich. Das war kein letztes Gefecht, das sich der Kapitän des Schlachtschiffs mit ihnen hatte liefern wollen; das war eine Falle, und seine Manöver nur so regelmäßig, damit sie sie für vorhersehbar hielten. Und damit sie genau jetzt genau an der Stelle waren, wo er sie haben wollte.
„Ihr Schiff“, sagte er mehr zu sich. Sie brauchten ihre Waffen nicht; das war ihre Waffe, eine präzise gesetzte Zeitbombe. Er sah zu Matei herüber, der leicht in sich zusammengesunken seine Schläfen massierte.
„Hochmut kommt vor dem Fall“, sagte Matei mit spöttischem Lächeln und zuckte mit den Schultern.
Auf den Kamerabildern erloschen die Lichter hinter den Fenstern des Schlachtschiffs, dann die Schildgeneratoren und schließlich die Triebwerke, als wäre das Schiff friedlich entschlafen. Es war nicht das erste Mal, dass Abelia den Puls miterlebte, aber es erfüllte sie wieder mit einer gewissen Ehrfurcht oder vielleicht sogar Grauen: Was gerade noch eine Maschine von enormer Macht gewesen war, war einen Augenblick später nur noch ein Relikt, nicht viel mehr als ein Asteroid oder ein anderer toter Himmelskörper.
„Massive Energieentwicklung im gegnerischen Schiff“, rief jemand neben ihr. Dann füllte ein Gleisen die Projektionen, so hell, dass es selbst die Brücke der Morgenröte erleuchtete, als wären sie einer Sonne zu nahe gekommen.
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Es wird Morgen, dachte Carina beiläufig, als sie den hellen Schein nahe dem Horizont bemerkte. Aber nichts daran stimmte: Es war zu früh, und der Stern dieses Systems würde in einer ganz anderen Himmelsrichtung aufgehen. Dennoch war sie bereits wach und es spät genug, um den Tag anzufangen; bald würde unten das morgendliche Training beginnen. Carina überlegte, ob das Kind aus der Stadt auch diesmal wieder dabei wäre; vielleicht könnte sie schließlich seine Familie treffen, ein paar bedeutsamere Kontakte zu den Menschen auf diesem Planeten knüpfen.
„Was war das“, sagte Mira, die gerade aus ihrem Zelt gekrochen kam. „Am Himmel, gerade.“
„Wer weiß“, sagte Carina. Was auch immer es gewesen war, es war jedenfalls viel zu weit weg gewesen, um sich jetzt damit beschäftigen zu müssen.
Vorschau: Elvis und Park finden für ein Rätsel eine Lösung, die ihnen zwei lange Wege erspart hätte. „Offenbar bin ich hier der ranghöchste Offizier“, sagt Zennon Appiah, „und ich mache jetzt Tee.“ Anderswo wacht Carina Debro in eine Welt auf, in der nur sie ganz die alte geblieben ist.